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  • Apr 13, 2025
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Narzissmus: Diagnose

Narzissmus manifestiert sich in einem Spektrum, das von als gesund geltenden Persönlichkeitsmerkmalen bis hin zur klinisch relevanten narzisstischen Persönlichkeitsstörung (NPS) reicht. Die NPS stellt eine tiefgreifende und überdauernde Störung des Selbstbildes sowie der Gestaltung sozialer Interaktionen dar. Ein besonders markantes Merkmal ist der Kontrast zwischen einem nach außen zur Schau gestellten grandiosen Auftreten und einer tief darunterliegenden, oft verborgenen Verletzlichkeit.

Narzisstische Persönlichkeitsstörung: Diagnose und Begleiterkrankungen

Wenn Selbstüberschätzung und Verletzlichkeit aufeinandertreffen

Narzissmus manifestiert sich in einem Spektrum, das von als gesund geltenden Persönlichkeitsmerkmalen bis hin zur klinisch relevanten narzisstischen Persönlichkeitsstörung (NPS) reicht. Die NPS stellt eine tiefgreifende und überdauernde Störung des Selbstbildes sowie der Gestaltung sozialer Interaktionen dar. Ein besonders markantes Merkmal ist der Kontrast zwischen einem nach außen zur Schau gestellten grandiosen Auftreten und einer tief darunterliegenden, oft verborgenen Verletzlichkeit.

Kriterien für die Diagnose der narzisstischen Persönlichkeitsstörung

Einordnung in die Klassifikationssysteme

Die narzisstische Persönlichkeitsstörung wird in gängigen psychiatrischen Klassifikationssystemen wie dem DSM-5 (Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen) dem Cluster B zugeordnet. Dieses Cluster umfasst Persönlichkeitsstörungen, die als „dramatisch, emotional oder launisch“ charakterisiert werden.

Für die Diagnose einer NPS gemäß DSM-5 müssen mindestens fünf der nachfolgend aufgeführten Kriterien erfüllt sein:

  • Ein grandioses Gefühl der eigenen Wichtigkeit (z. B. Übertreibung eigener Leistungen und Talente, Erwartung, ohne entsprechende Leistungen als überlegen anerkannt zu werden).
  • Starke Eingenommenheit von Fantasien über unbegrenzten Erfolg, Macht, Glanz, Schönheit oder ideale Liebe.
  • Glaube an die eigene Besonderheit und Einzigartigkeit, verbunden mit der Überzeugung, nur von anderen besonderen oder hochrangigen Personen (oder Institutionen) verstanden zu werden oder mit diesen verkehren zu sollen.
  • Verlangen nach exzessiver Bewunderung.
  • Ausgeprägtes Anspruchsdenken (unrealistische Erwartungen an eine besonders bevorzugte Behandlung oder automatisches Eingehen auf die eigenen Erwartungen).
  • Interpersonell ausbeuterisches Verhalten (Nutzen anderer, um eigene Ziele zu erreichen).
  • Mangel an Empathie: mangelnde Bereitschaft, die Gefühle und Bedürfnisse anderer zu erkennen, anzuerkennen oder sich mit ihnen zu identifizieren.
  • Häufiger Neid auf andere oder der Glaube, von anderen beneidet zu werden.
  • Zeigt arrogante, überhebliche Verhaltensweisen oder Haltungen.

Wichtiger diagnostischer Hinweis: Diese Merkmale müssen tiefgreifend sein, in verschiedenen persönlichen und sozialen Situationen auftreten und spätestens im frühen Erwachsenenalter begonnen haben.

Die verborgene Verletzlichkeit hinter der Fassade

Obwohl die explizite Verletzlichkeit in den aktuellen Diagnosekriterien des DSM-5 oder der ICD (Internationale Klassifikation von Krankheiten) nicht als Kernmerkmal aufgeführt ist, betrachten viele klinische Experten und Forscher sie als zentrales Element des Störungsbildes.

Das paradoxe Selbstbild der Betroffenen:

  • Äußere Präsentation: Oft selbstbewusst, charmant, überlegen oder dominant wirkend.
  • Innere Realität: Häufig geprägt von extremer Empfindlichkeit gegenüber Kritik oder Zurückweisung, tiefen Selbstzweifeln und Ängsten vor Insuffizienz.

Das fragile Selbstwertgefühl von Personen mit NPS kann bereits durch geringfügige Kritik oder wahrgenommene Kränkungen massiv erschüttert werden. Typische Reaktionen darauf sind intensive Wut (narzisstische Wut), sozialer Rückzug, demonstrative Gleichgültigkeit oder verstärkte Versuche der Selbstidealisierung und Abwertung anderer.

Häufige Begleiterkrankungen (Komorbiditäten)

Personen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung weisen häufig zusätzliche psychische Erkrankungen auf (Komorbiditäten). Diese können das klinische Bild komplizieren und das Leiden sowie die funktionellen Beeinträchtigungen der Betroffenen erheblich verstärken.

Typische komorbide Störungen umfassen:

  • Depressive Störungen: Oft reaktiv auf Kränkungen, Misserfolge oder mangelnde Bewunderung, insbesondere bei vulnerablen narzisstischen Anteilen.
  • Bipolare Störungen: Die grandiosen Phasen können manischen oder hypomanischen Episoden ähneln.
  • Somatoforme Störungen oder Somatische Belastungsstörung: Körperliche Beschwerden ohne ausreichende medizinische Erklärung.
  • Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS): Symptomüberlappungen wie Impulsivität oder Reizbarkeit sind möglich.
  • Substanzkonsumstörungen (Alkohol, Drogen) oder andere Abhängigkeiten (z. B. Glücksspiel): Oft als Versuch der Selbstmedikation oder zur Kompensation innerer Leere.
  • Essstörungen: Sowohl restriktive als auch bulimische Muster können vorkommen.
  • Andere Persönlichkeitsstörungen: Insbesondere aus dem Cluster B (histrionische, antisoziale, Borderline-Persönlichkeitsstörung) sowie paranoide Züge.

Narzissmus vs. Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS)

Die Abgrenzung zur Borderline-Persönlichkeitsstörung (BPS) kann herausfordernd sein, da beide Störungsbilder Gemeinsamkeiten aufweisen, wie:

  • Instabilität des Selbstwertgefühls.
  • Schwierigkeiten in der Gestaltung stabiler zwischenmenschlicher Beziehungen.
  • Ausgeprägte Ängste vor Verlassenwerden oder Zurückweisung.
  • Tendenzen zu manipulativem Verhalten im Beziehungskontext.

Differenzierung: Ein wesentlicher Unterschied liegt oft in der Art der Instabilität: Während bei BPS häufig ein rascher Wechsel zwischen extremer Idealisierung und ebenso extremer Abwertung anderer (und des Selbst) zu beobachten ist, zeigt sich bei NPS eher ein überdauernd grandioses Selbstbild, das jedoch bei Kränkung brüchig wird und zu starken Abwertungsreaktionen führen kann. Die zugrundeliegende Angst bei NPS ist oft eher die vor dem Verlust der Bewunderung, bei BPS die Angst vor dem Verlassenwerden.

Fazit: Ein labiles Selbstbild mit weitreichenden Folgen

  • Einzelne narzisstische Persönlichkeitszüge sind nicht per se pathologisch und können in Maßen sogar funktional sein.
  • Die voll ausgeprägte narzisstische Persönlichkeitsstörung ist jedoch mit erheblichem Leid und schwerwiegenden Beeinträchtigungen im sozialen, beruflichen und emotionalen Bereich verbunden.

Therapeutische Ansätze fokussieren unter anderem auf:

  • Die Entwicklung eines stabileren und authentischeren Selbstwertgefühls, das weniger von externer Bewunderung abhängig ist.
  • Die Förderung von Empathiefähigkeit und das Erlernen konstruktiverer Strategien zur Beziehungsgestaltung.
  • Die Verbesserung der Affektregulation, insbesondere im Umgang mit Kritik, Kränkungen und Frustration.

Die Aufnahme einer Therapie erfolgt bei Menschen mit NPS oft nicht aus eigener Motivation, sondern aufgrund von externem Druck, Krisen oder dem Leidensdruck durch komorbide Störungen. Trotz der Herausforderungen sind therapeutische Veränderungen und eine Verbesserung der Lebensqualität mit adäquater, oft langfristiger Unterstützung möglich.