Ist Narzissmus behandelbar? Therapieansätze und Perspektiven
Viele Individuen, die von einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung (NPS) betroffen sind, suchen professionelle Unterstützung häufig erst dann auf, wenn sie bereits unter den gravierenden Konsequenzen ihrer Verhaltensmuster leiden. Anlässe können wiederkehrende berufliche Konflikte, das Scheitern wichtiger Beziehungen oder tiefgreifende Sinn- und Lebenskrisen sein. Oftmals sind es jedoch nicht die primären narzisstischen Persönlichkeitsanteile selbst, die den Anstoß zur Therapie geben, sondern vielmehr komorbide psychische Belastungen wie depressive Episoden, Angststörungen oder Suchterkrankungen.
Warum gestaltet sich die Therapie bei Narzissmus oft herausfordernd?
Ein zentrales Hindernis in der Behandlung von Menschen mit einer narzisstischen Störung liegt darin, dass sie ihre eigenen Denk- und Verhaltensweisen häufig nicht als Kern des Problems wahrnehmen (mangelnde Krankheitseinsicht). Stattdessen neigen sie dazu, die Ursachen für ihre Schwierigkeiten primär bei anderen oder in den äußeren Umständen zu sehen. Diese Externalisierung erschwert es ihnen erheblich, Eigenverantwortung für ihre Rolle in Konflikten zu übernehmen und sich auf einen tiefgehenden, oft konfrontativen psychotherapeutischen Prozess einzulassen.
Die Prognose für eine erfolgreiche Behandlung variiert jedoch je nach der spezifischen Ausprägung der Störung und der individuellen Persönlichkeitsstruktur:
- Vulnerabler Narzissmus: Personen, die stärker durch eine verletzliche, unsichere und überempfindliche Form des Narzissmus geprägt sind, zeigen tendenziell eine höhere Therapiebereitschaft und profitieren oft besser von therapeutischen Interventionen. Ihre Offenheit für Selbstreflexion bezüglich ihres Leidensdrucks kann den therapeutischen Prozess begünstigen.
- Grandioser Narzissmus: Bei Individuen mit stark ausgeprägter grandioser Selbstüberhöhung, einem Mangel an Empathie und manipulativen Tendenzen gestaltet sich eine erfolgreiche Therapie als deutlich herausfordernder. Die Bereitschaft, das eigene grandiose Selbstbild in Frage zu stellen, ist hier oft geringer.
Generell lässt sich beobachten, dass mit fortschreitendem Lebensalter die Bereitschaft zur Veränderung zunehmen kann. Die kumulierten negativen Konsequenzen des eigenen Verhaltens in verschiedenen Lebensbereichen können dann oft nicht mehr ignoriert oder kompensiert werden, was den Leidensdruck erhöht und die Motivation für eine Therapie steigern kann.
Therapiemethoden bei narzisstischer Persönlichkeitsstörung
Zur Behandlung der narzisstischen Persönlichkeitsstörung haben sich verschiedene psychotherapeutische Verfahren etabliert und als wirksam erwiesen:
-
Übertragungsfokussierte Psychotherapie (TFP)
- Ursprünglich von Otto Kernberg für die Behandlung der Borderline-Persönlichkeitsstörung entwickelt, aber auch bei NPS adaptiert.
- Zielsetzung: Die Integration widersprüchlicher Selbst- und Objektbilder (z. B. grandios vs. wertlos) zu einem kohärenteren und stabileren Identitätserleben.
- Fokus: Nutzt die therapeutische Beziehung (Übertragung und Gegenübertragung) als zentrales Instrument, um problematische interpersonelle Muster zu erkennen, zu verstehen und zu bearbeiten.
-
Mentalisierungsbasierte Therapie (MBT)
- Entwickelt von Peter Fonagy und Anthony Bateman, ebenfalls ursprünglich für BPS konzipiert.
- Zielsetzung: Die Verbesserung der Mentalisierungsfähigkeit – also der Fähigkeit, eigene und fremde mentale Zustände (Gefühle, Gedanken, Absichten, Bedürfnisse) wahrzunehmen, zu interpretieren und zu verstehen.
- Besonders indiziert bei: Personen mit deutlichen Empathiedefiziten und wiederkehrenden, schweren interpersonellen Konflikten.
-
Kognitive Verhaltenstherapie (KVT)
- Ansatzpunkte: Identifikation und Modifikation dysfunktionaler Grundüberzeugungen und Denkmuster (z. B. „Ich bin nur wertvoll, wenn ich bewundert werde“ oder „Fehler sind inakzeptabel“).
- Zielsetzung: Aufbau eines stabileren, intrinsischeren Selbstwertgefühls, das weniger von externer Validierung abhängig ist; Verbesserung der Affektregulation, insbesondere im Umgang mit Kritik und Frustration.
-
Schematherapie
- Entwickelt von Jeffrey Young, integriert kognitiv-verhaltenstherapeutische, psychodynamische und gestalttherapeutische Elemente.
- Ansatzpunkte: Identifikation und Bearbeitung frühkindlich entstandener, maladaptiver Schemata (tiefgreifende emotionale und kognitive Muster) und Bewältigungsstile (z. B. Selbstüberhöhung als Kompensation von Minderwertigkeitsgefühlen).
- Zielsetzung: Auflösung dysfunktionaler Muster und Stärkung gesunder Persönlichkeitsanteile (des “gesunden Erwachsenen”).
-
Paartherapie
- Wird häufig initiiert, wenn Beziehungskrisen eskalieren und der Partner oder die Partnerin erheblich unter der narzisstischen Beziehungsdynamik leidet.
- Potenzial: Kann helfen, destruktive Kommunikationsmuster aufzudecken und zu verändern sowie Konfliktlösungsstrategien zu verbessern.
- Einschränkung: Für nachhaltige Veränderungen der zugrundeliegenden narzisstischen Struktur ist meist eine begleitende oder vorausgehende Einzeltherapie der betroffenen Person erforderlich.
Ist eine Heilung von Narzissmus möglich?
Eine vollständige „Heilung“ im Sinne einer kompletten Transformation der Persönlichkeit hin zu einem Zustand ohne jegliche narzisstische Züge ist bei einer manifesten NPS unrealistisch und auch nicht das primäre Therapieziel. Vielmehr geht es darum, die maladaptiven Aspekte des Narzissmus zu reduzieren und die funktionalen Anteile in gesündere Bahnen zu lenken.
Realistische Therapieziele umfassen:
- Die Fähigkeit, stabilere, gegenseitigere und erfüllendere zwischenmenschliche Beziehungen aufzubauen und aufrechtzuerhalten.
- Die Entwicklung einer größeren Selbstakzeptanz und eines intrinsischeren Selbstwertgefühls, das weniger von externer Bewunderung und Bestätigung abhängig ist.
- Eine Reduktion von selbstschädigenden, manipulativen oder ausbeuterischen Verhaltensweisen.
- Die Entwicklung eines konstruktiveren Umgangs mit Kritik, Zurückweisung und Frustration.
Schlüsselfaktoren für einen erfolgreichen Therapieverlauf sind:
- Die Entwicklung von Einsicht in die eigenen problematischen Verhaltensmuster und deren Auswirkungen auf sich selbst und andere.
- Eine genuine Motivation und Bereitschaft zur Veränderung, auch wenn dies schmerzhaft sein kann.
- Die Bereitschaft zu einer oft langfristigen und intensiven therapeutischen Auseinandersetzung.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Menschen mit narzisstischen Zügen oder einer NPS erheblich von einer Psychotherapie profitieren können. Voraussetzung ist jedoch die Bereitschaft, sich auf einen ehrlichen und oft mühevollen Prozess der Selbstreflexion und Veränderung einzulassen.